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Full text of "Ciceros Rede für Ligarius [microform]"

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MASTER 
NEGATIVE 

NO.  92-81092-18 


MICROFILMED  1993 
COLUMBIA  UNIVERSITY  LIBRARIES/NEW  YORK 


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Western  Civilizatioi 


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A  UTHOR : 


KRAZ,  H. 


TITLE: 


CICEROS  REDE  FÜR 

LIGARIUS 

PLACE: 

STUTTGART 


DA  TE : 

[18691 


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COLUMBIA  UNIVERSITY  LIBRARIES 
PRESERVATION  DEPARTMENT 

BIBLIOGR  APHIC  MTCRpFORM  TARHFT 


Master  Negative  # 


Original  Material  as  Filmed  -  Existing  Bibliographie  Record 


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Kruz,  H 


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Cicero.  LI.T.  (Orationes.  Lißarius  Ger.  Kraz) 
Rede  fflr  Ligarlus.  ^1869.;, 


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DATE     FILMED: _ljJ2_^_i INITIALS__^^^/:^ 

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PEOGEAMM 


des 


Eönigiiclien  Gymnasiums 


in 


Stuttgart 


zum 


ScMuss  des  Schuljahrs  1868—69, 


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Inhalt: 


1)  Ciceros  Rede  für  Ligferius,    übersetzt  und  mit  exegetisch- kritischen 
Bemerkungen  begleitet  von  Prof.  H.  Kra. 

2)  Nachrichten  Über  das  Schuljahr  ISflfS—ST 


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STUTTGART. 

Schnellpressendruck  von  Jul.  Kleeblatt  &  Comp. 


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Vorwort. 


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Bei  den  hohen  Anforderungen,  welche  man  jetzt  mit  Recht  an  Übersetzungen 
stellt*),  wird  man  schwerlich  den  Verfasser  eines  Programms,  der  mit  einer  Über- 
setzung auftritt,  der  Bequemlichkeit  beschuldigen,  zumal  wenn  man  die  ganz  beson- 
deren  Schwierigkeiten  einer  Übersetzung  oratorischer  Kunstwerke,  dergleichen  die 
Reden  Ciceros  sind,  in  Anschlag  bringt;  ich  meinestheils  kann  wenigstens  versichern, 
dass  ich,  wenn  ich  mir  meine  Arbeit  hätte  leicht  machen  wollen,  sicherlich  nach  einem 
andern  mir  gleichfalls  nahe  liegenden  Gegenstand  gegriffen  haben  würde.  Auch  weiss 
niemand  besser  als  ich  selbst,  wie  weit  meine  Übersetzung,  wenn  man  sie  vielleicht 
auch  im  allgemeinen  lesbar  linden  sollte,  doch  an  einzelnen  Stellen,  welche  ich  Kun- 
digen nicht  erst  zu  bezeichnen  brauche,  hinter  ihrem  Originale  an  Kürze,  Kraft  und 
rhetorischem  Schwünge  zurücksteht. 

Dass  gerade  die  Rede  für  Ligarius  gewählt  wurde,  beruht  allerdings  zu- 
nächst auf  einem  äusserlichen  Grunde;  sie  schien  nemlich  dem  umfange  eines  Pro- 
gramms und  der  für  die  Arbeit  aufzuwendenden  Zeit  besonders  zu  entsprechen. 
Indessen  darf  ich  wohl  zur  Rechtfertigung  meiner  Wahl  mich  zugleich  auch  auf  die 
schon  im  Alterthum  anerkannte  Vortrefflichkeit  der  Rede  berufen.  Es  ist  wahr,  ihr 
Inhalt  hat  nichts  an  sich  selbst  Bedeutendes  und  Ergreifendes,  dafür  stört  aber  auch 
nicht,  wie  bei  andern  hochgepriesenen  Reden,  z.  B.  der  Miloiiiana,  die  Vertheidigung 
einer  schlechten  Sache  durch  rabulistische  Mittel  und  Misshandlung  der  Wahrheit ;  die 
Zeiten  der  Freiheit  sind  jetzt  vorüber  und  dem  Adler  die  Flügel  beschnitten,  aber 
dafür  fehlen  auch  jene  auf  Bestechung  einer  zusammengelosten  Richtermenge  berechne- 
ten Kunstgriffe ,  denn  der  Redner  hat  es  allein  mit  Cäsar  zu  thun,  auf  welchen  er  nur 
durch  Entfaltung  wahrer  rednerischer  Kraft  und  Kunst  Eindruck  zu  machen  hoffen 
kann;  und  besonders  interessant  ist  es  zu  sehen,  mit  welcher  Feinheit,  aber  auch,  was 


♦)  Man  vergleiche  hierüber  die  Besprechung  der  Holzerschen  Übersetzung  von  Sallusts  Catilina 
in  dem  Co  rrespondenzblatt  für  die  Gelehrten-  und  Realschulen  Württembergs  1868. 
S.  136  fif.  und  Kuchlys  Vorrede  zu  der  Übersetzung  von  Cäsars  gallischem  Krieg,  zu  dessen  Grundsätzen 
auch  ich  mich  bekenne. 


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ihm  besonders  hoch  anzurechnen  ist,  mit  welch  edlem  Freimuth  er  sich  in  dieser  hei- 
kein Sache  benimmt. 

Ligarius  war  von  Cäsar,  gegen  welchen  er  in  Africa  die  Waffen  getragen,  nach 
der  entscheidenden  Schlacht  bei  Thapsus  begnadigt,  jedoch  aus  dem  Vaterlande  ver- 
wiesen worden.  Verwandte  und  Freunde  boten  allem  auf,  ihm  die  Rückkehr  zu  er- 
wirken, und  es  schien,  als  würden  ihre  Bemühungen  endlich  zum  Ziele  führen,  als  der 
von  Ligarius  früher  einmal  hart  behandelte  Q.  Tubero  aus  persönlicher  Feindschaft 
mit  einer  Klage  gegen  ihn  vor  Cäsar  (der  als  Dictator  die  oberste  Richtergewalt  hatte) 
auftrat,  um  die  Aufhebung  der  Verbannung  zu  hintertreiben.  Wenn  Drumann  (Gesch. 
Roms  III,  707)  sagt,  die  Begnadigung  sei  bereits  zum  voraus  beschlossen  und  die 
öffentliche  Verhandlung  des  Processes  nur  ein  politisches  Gaukelspiel  gewesen,  so 
stimme  ich  ihm  in  soweit  bei,  als  es  auch  mir  scheint,  der  Process  könne  materiell  kaum 
ganz  ernstlich  gemeint  gewesen  sein.  Nur  geht  mir  der  Ausdruck  „politisches  Gaukel- 
spiel" zu  weit ;  ich  glaube  vielmehr,  dass  Cäsar,  wenn  auch  innerlich  vielleicht  bereits 
für  Begnadigung  gestimmt  oder  sogar  dazu  entschlossen,  der  Klage  doch  darum  ihren 
formellen  Lauf  Hess,  weil  er  wusste,  dass  Cicero  die  Vertheidigung  führen  werde,  und 
dem  Auftreten  des  grossen  Redners  nach  langem  Schweigen  und  überdies  in  einer 
so  delicaten  Angelegenheit  wirklich  mit  Interesse  und  Spannung  entgegensah.  Dieses 
wenn  ich  so  sagen  darf  menschlichnatürliche  Motiv  Cäsars  finde  ich  auch  durch  die 
Worte  bestätigt,  welche  ihm  Plutarch  (V.  Cic.  c.  39)  bei  dieser  Veranlassung  in  den 
Mund  legt:  ti  xojXvsi  öiä  xi'övov  KiKt^JOJi'os  amvaai  Kiyovtos'i  Wenn  W.  T.  in  der  Real- 
encyclopädie  (4,  1084)  meint,  Cäsar  habe  sich  Gelegenheit  verschaffen  wollen  einen 
öffentlichen  Gnadenakt  zu  üben,  und  zugleich  den  Cicero  theils  zu  lauter  Anerkennung 
seiner  Person  und  Herrschaft  zu  veranlassen,  theils  dadurch  zu  verbinden,  dass  er  sich 
von  seiner  Beredsamkeit  überwunden  stellte,  so  scheinen  mir  doch  die  beiden  letzteren 
Motive  nicht  so  ganz  nebeneinander  bestehen  zu  können,  jedenfalls  aber  für  Cäsar  etwas 
kleinlich  und  daher  weniger  wahrscheinlich. 

Ligarius  wurde  freigesprochen  und  erhielt  die  Erlaubniss  zur  Rückkehr,  trat  aber 
dennoch  (Plut.  Brut.  11)  der  Verschwörung  gegen  Cäsar  bei,  und  fiel  wohl  als  ein  Opfer 
der  Proscriptionen  des  Jahrs  43,  wie  aus  Appian  hervorgeht,  welcher  (b.  c.  4,  22.  23) 
den  Tod  dreier  Ligarier  berichtet. 

Der  Übersetzung  liegt,  wo  nichts  anderes  bemerkt  ist,  der  Text  der  treff- 
lichen Halmschen  Ausgabe  zu  Grunde,  auf  welche  sich  ein  grosser  Theil  der  beige- 
gebenen exegetisch-kritischen  Bemerkungen  ergänzend  oder  berichtigend  bezieht. 


Ciccros  Rede  für  QuiDtus  Ligarius  vor  dem  Dictator  G.  Cäsar. 


I.  Eine  neue,  bis  auf  diesen  Tag  unerhörte  Anklage,  Cäsar,  hat  mein  Verwandter  i. 
Q.  Tubero  vor  dir  erhoben:  „Q.  Ligarius  ist  in  Afrika  gewesen!"  0  und  ein  so  ver- 
ständiger '^)  Mann  wie  C.  Pansa  hat  auch  bereits,  vielleicht  im  Vertrauen  auf  sein  nahes 
Verhältniss  zu  dir,  den  Muth  gehabt  diese  Thatsache  förmlich  zuzugeben.  So  weiss 
ich  mir  denn  nicht  zu  rathen  und  zu  helfen.  Ich  dachte  mir,  du  wissest  weder  von 
dir  selbst  um  die  Sache  noch  habest  du  anderswoher  davon  Kunde  erhalten  können, 
und  war  darauf  gefasst,  deine  Unbekanntschaft  mit  dem  Sachverhalte  im  Interesse  des 
unglücklichen  Mannes  auszubeuten.  Nachdem  es  nun  aber  dem  Späherauge  unseres 
Feindes  gelungen  ist  hinter  das  Geheimniss  zu  kommen,  muss  ich  wohl  bekennen, 
zumal  da  ich  durch  die  Schuld  meines  Freundes  Pansa  hierin  keine  freie  Hand  mehr 
habe,  und  mich  unter  Verzicht  auf  jede  Gegenrede  in  meinem  Vortrage  ganz  nur  an 
deine  Grossmath  wenden,  welcher  schon  so  mancher  das  Leben  verdankt,  dem  du,  ich 
will  nicht  sagen  Freisprechung  von  einer  Schuld,  aber  doch  Verzeihung  für  einen  Fehl- 
tritt zu  Theil  werden  liessest.  Du  bist  also ,  Tubero ,  in  der  für  einen  Ankläger  so  2. 
wünschenswerthen  Lage,  einen  Beklagten  zu  haben,  der  gesteht,  aber  freilich  nur 
so  viel  gesteht,  derselben  Partei  wie  du  und  dein  würdiger  Vater  angehört  zu  haben. 
Ihr  müsst  also  zuvor  euer  eigenes  Vergehen  bekennen,  ehe  ihr  das  Recht  habt  dem 
Ligarius  irgend  eine  Schuld  vorzuwerfen. 

Q.  Ligarius  nemlich  gieng  zu  einer  Zeit,  wo  man  noch  keine  Ahnung  von  einem 
Kriege  hatte ,  mit  C.  Considius  als  dessen  Legat  nach  Afrika.  In  dieser  Stellung 
wusste  er  sich  bei  Römern  und  Provinzialen  solche  Achtung  zu  erwerben,  dass  Con- 
sidius bei  seinem  Abgange  aus  der  Provinz  keinen  andern  als  Ligarius  an  die  Spitze 
der  Verwaltung  stellen  konnte,  wofern  er  anders  dem  allgemeinen  Wunsche  der  Be- 
völkerung Rechnung  tragen  wollte.    So  übernahm  denn  Ligarius  nach  langem,  vergeb- 


*)  Der  Redner  führt  natürlich  nur  irouisch  die  Klage  des  Tubero  auf  diese  Formel  zurück.  In 
Wirklichkeit  mag  sie  auf  perduellio  oder  parricidium  gelautet  haben,  aber  bei  ihrer  Begründung  spielte  selbst- 
verständlich die  Theilnahme  des  Ligarius  an  den  Kämpfen  in  Afrika  die  Hauptrolle. 

*)  Das  zunächst  auffallende  Prädikat  praestanti  vir  ingenio  will  hier  sagen:  ein  gescheider  Mann 
weiss  wohl,  wie  weit  er  gehen  darf,  ohne  einem  Freunde  (hier  also  dem  Ligarius)  zu  schaden. 


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lichem  Sträuben  die  Provinz  wider  seinen  Willen,  und  verwaltete  sie,  so  lange  es  Friede 
blieb,  auf  eine  Weise,  dass  er  sich  bei  Römern  und  Provinzialen  im  höchsten  Grade 

3.  beliebt  machte.  Mit  einemmale  brach  der  Krieg  aus,  und  zwar  so  plötzlich,  dass  man 
in  Afrika  den  Beginn  der  Feindseligkeiten  noch  früher  erfuhr  als  man  von  Vorberei- 
tungen dazu  etwas  wusste.  Auf  diese  Nachricht  sah  man  sich  dort  tlieils  in  untiber- 
legter  Leidenschaft  theils  in  blindem  Schrecken  anfangs  zum  Zwecke  der  Selbsterhal- 
tung, später  wohl  auch  im  Parteiinteresse  nach  einem  Führer  um,  wobei  jedoch  Liga- 
rius,  dessen  Sinn  nach  der  Heimat  stand,  der  zu  den  Seinigen  zurückzukehren  wünschte, 
sich  in  keinen  Handel  verwickeln  Hess.  Mittlerweile  kam  Varus,  der  früher  einmal 
Prätor  in  Afrika  gewesen  war,  nach  ütica.  Ihm  strömte  sogleich  alles  zu,  und  er 
griff  seinerseits  ebenso  begierig  nach  der  höchsten  Gewalt,  wenn  man  anders  eine 
Stellung  so  nennen  konnte,  die  einem  blossen  Privatmann  durch  das  Geschrei  einer 
unwissenden  Menge  und  nicht  durch  einen  Akt  der  gesetzlichen  Staatsgewalt  übertragen 
wurde.  So  bekam  denn  Ligarius,  der  allen  solchen  Händeln  zu  entgehen  wünschte, 
durch  Varus  Ankunft  etwas  Ruhe. 

*.  n.  Bis  hieher,  Cäsar ,  steht  Ligarius  völlig  schuldlos  da.    Als  er  von  Hause  ab- 

gieng,  war  ein  Krieg  nicht  nur  nicht  ausgebrochen,  sondern  auch  nicht  von  ferne  zu 
besorgen;  als  Legat  reiste  er  ab  im  Frieden,  fand  die  Provinz  im  tiefsten  Frie- 
den, und  benahm  sich  darin  so,  dass  es  nur  sein  Vortheil  war  ^),  wenn  es  Friede 
blieb.  Dass  er  dort  hin gi eng,  darf  somit  sicherlich  nicht  dein  Missfallen  erregen; 
aber  vielleicht  dass  er  dort  blieb?  Noch  viel  weniger;  denn  war  sein  Gehen  Folge 
eines  freien,  in  keiner  Beziehung  unehrenhaften  Entschlusses,  so  lag  zum  Bleiben  so- 
gar eine  ihn  ehrende  Nöthigung  vor.  Also  diese  beiden  Zeiträume  sind  vorwurfsfrei, 
der  eine,  da  er  als  Legat  abgieng,  der  andere,  da  er  auf  das  dringende  Verlangen 
der  Provinz  an  die  Spitze  der  Verwaltung  von  Afrika  gestellt  wurde. 

5.  Die  dritte  Periode  umfasst  die  Zeit,  während  welcher  er  nach  Varus  Ankunft 

in  Afrika  verblieb,  und  liegt  hierin  eine  Schuld,  so  ist  sie  dem  Drange  der  Umstände, 
nicht  dem  freien  Willen  zuzuschreiben  *)  Denn  hätte  er  sich  in  irgend  einer  Weise 
losmachen  können,  würde  er  alsdann  wohl  den  Aufenthalt  in  ütica,  in  der  Umgebung 
des  Varus,  unter  lauter  Fremden  dem  Leben  in  Rom  an  der  Seite  seiner  mit  ihm  voll- 
kommen harmonirenden  Brüder  und  im  Kreise  der  Seinigen  vorgezogen  haben?  Hatte 
er  schon  als  Legat  eine  Zeit  voller  Sehnsucht  und  Sorge  wegen  seiner  ungemeinen 
Liebe  zu  seinen  Brüdern  verleben  müssen,  wie  hätte  ihn  unter  diesen  Umständen  die 
Scheidung,  welche  der  Krieg  zwischen  ihm  und  seinen  Brüdern  bewirkte ,  gleichgültig 
lassen  können? 


•)  weil  er  nämlich  nur  im  Frieden  ruhig  die  Verwaltung  der  Provinz  fortführen  konnte,  die  ihm 
im  Kriege  dnrch  Varus  abgenommen  wurde.  Halms  Bemerkung:  „was  bei  Leuten  nicht  der  Fall  ist,  die  sich 
dnrch  Verbrechen  befleckt  haben",  ist  sonderbar. 

*)  Dies  ist  der  schwache  Punkt  der  Beweisführung,  welcher  durch  rührende  Redensarten  nur 
schlecht  maskirt  wird.  Wurde  Ligarius  von  Varus  nicht  wie  ein  Gefangener  gehalten,  so  konnte  ihn  nichts 
bindern  Afrika  zu  verlassen. 


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Bis  hieher  also*^),  Cäsar,  findest  du  an  Ligarius  nichts,  was  eine  feindselige  6 
Gesinnung  gegen  dich  verriethe.    Und  jetzt  bemerke  wohl,  mit  welcher  Gewissenhaftig- 
keit ich  seine  Sache  führe :  ich  setze  dabei  die  meinige  aufs  Spiel.  Bewundemswerthe 
Grossmuth,  die  es  verdient  allgemein  gerühmt,  gepriesen,  durch  Schrift  und  Denkmal 
verherrlicht  zu  werden!    Cicero  macht  zur  Vertheidigung  eines  andern  vor  dir  geltend 
derselbe  sei  mit  seiner  Gesinnung  nicht  auf  der  Seite  gestanden  %  welcher  doch  Cicero 
seinem  eigenen  Geständnisse  zufolge  selbst  angehörte,  ohne  dabei  deine  eigenen  stillen 
Gedanken  oder  die  Bemerkungen  fürchten  zu  müssen,  welche  sich  dir  über  ihn  selbst 
aufdringen  könnten,  während  du  ihn  über  einen  andern  sprechen  hörst.     lU.  Sieh 
doch,  wie  mir  so  gar  nicht  bange  ist;  siehe,  welch'  eine  Sonne  von  Edelmuth  und  Weis- 
heit du  über  mir  aufgehen  lassest,  indem  ich  vor  dir  rede!  So  laut  ich  kann,  will  ich 
meine  Stimme  erheben,  damit  alles  Volk  es  höre:  Als  der  Krieg  begonnen  hatte,  Ca-  7. 
sar''),  ja  schon  in  vollem  Gange  war,  habe  ich  mich  ohne  allen  äussern  Zwang  aus 
Überzeugung  und  freiem  Entschlüsse  zu  dem  Heere  begeben,    das  gegen  dich  im 
Felde  stand.    Vor  wem  freche  ich  denn  nun  in  solcher  Weise?    Es  ist  der  Mann, 
der  das  wolil  wusste,  und  mich  dennoch,  ehe  er  mich  noch  gesehen,  dem  Vaterlande 
wieder  schenkte;  der  mir  schon  von  Ägypten  aus  schrieb,  ich  solle  ganz  bleiben  der 
ich  bisher  gewesen;  der  als  der  einzige  Imperator  im  ganzen  römischen  Reich  mich 
den  zweiten  sein  Hess ;  der  mir  die  Bewilligung  ertheilte  und  durch  den  hier  anwesen- 
den Pansa  zukommen  Hess,  meine  lorbeerbekränzten  Fascen  zu  behalten  so  lange  ich 
wollte;   mit  einem  Worte:   der  eine  Begnadigung,  welche  mich  nicht  im  VoUbesitze 
meiner  Ehren  Hess,  gar  nicht  für  eine  solche  gehalten  hätte.    Sieh  doch,  Tubero,  wie  ich  8. 
der  ich  über  mein  eigenes  Verhalten  unbedenklich  ein  Geständniss  ablege ,  doch  hiezu 
in  Betreff  des  Ligarius   den  Muth  nicht  habe®).    Auch  hatte  ich  mit   dieser  meiner 
Selbstanklage  nur  den  Zweck  mir  Tuberos  Verzeihung  zu  erwirken,  wenn  ich  das  gleiche 
über  ihn  zu  sagen  hätte;   denn  ich  habe  die   besten  Wünsche  für  seine  beginnende 
Laufbahn  und  seinen  Ruhm  theils  wegen  unsrer  nahen  Verwandtschaft,  theils  weil  ich 
an  seinem  Talent  und  seinen  Studien  Freude  habe,  und  von  dem  Ruhme  meines  jungen 
Verwandten  selbst  auch  einigen  Genuss  zu  haben  verhoffe.    Aber  ich  kann  ihm  den-  9. 
noch  die  Frage  nicht  ersparen:  wer  erklärt  es  für  ein  Verbrechen^),  in  Afrika  ge- 


*)  Man  bemerke,  wie  listig  durch  diese  scheinbar  ganz  unverfängliche  ßecapitulation  der  gleichen,  auf 
die  beiden  ersten  Zeiträume  sich  beziehenden  Worte  (§.  4.)  auch  der  dritte  als  unschuldig  eingeschmuggelt  wird. 

*)  in  ea  voluntate  non  fuisse  ist  ein  sehr  feiner  Ausdruck,  der  nicht  leugnet,  was  unmöglich  zu 
leugnen  war,  nämlich  des  Ligarius  pompejanische  Parteistelinng,  aber  dieselbe  auf  äussere,  zwingende  Ver- 
hältnisse, nicht  auf  eine  innerliche  Zustimmung,  zurückführt,  während  doch  anderers^ts  die  Worte  so  ange- 
than  sind,  dass  man  unwillkürlich  in  ea  parte  oder  causa  zu  hören  glaubt  oder  als  gleichgeltend  substituirt. 

')  Der  Anreden  bedienen  sich  die  Alten  nicht  so  willkürlich  als  die  Neueren;  auch  hier  fühlt  man 
deutlich  in  der  Anrede  so  etwas  heraus  wie:  „merke  wohl  auf,  Cäsar!  siehe,  wie  viel  ich  zuzugeben  im 
Begriffe  bin." 

*)  weil  es  nämlich  der  Wahrheit  zuwider  wäre,  und  Muth  dazu  gehört,  die  Unwahrheit  zu  sagen. 
Die  Weglassung  der  Negation  vor  audeam  (z.  B.  bei  F.  Schultz)  ist  in  jeder  Hinsicht  schlimm. 

^  Dass  crimen  bei  Cicero  diese  Bedeutung  nicht  hat,  ist  bekannt,  dessenungeachtet  wird  man  die 
Wahl  des  kräftigeren  Ausdrucks  nicht  anfechten,  da  der  Sinn  dadurch  nicht  geändert  wird. 


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wesen  zu  sein?  Nun  derselbe  Mann,  der  selbst  auch  in  Afrika  sein  wollte,  und  sich 
beschwert  von  Ligarius  daran  verhindert  worden  zu  sein,  und  auf  jeden  Fall  Cäsarn 
persönlich  in  Waffen  gegenüberstand.  Denn  was  wollte  dein  gezücktes  Schwert,  Tu- 
berO;  dort  in  der  pharsalischen  Feldschlacht?  auf  wessen  Brust  zielte  seine  Spitze? 
Was  dachten  deine  Waffen?  wohin  stand  dein  Sinn,  dein  Auge,  dein  Arm,  dein  glühen- 
der Eifer?  ^<^)  was  begehrtest,  was  wünschtest  du?  Doch  ich  treibe  den  jungen  Mann 
zu  sehr  in  die  Enge ;  er  scheint  aus  der  Fassung  zu  gerathen.  So  komme  ich  denn  auf 

10. mich  selbst  zurück  und  wiederhole:  ich  bin  derselben  Fahne  gefolgt.  IV.  Allein  welchen 
andern  Zweck  hatten  wir  denn,  Tubero,  als  den,  die  Macht,  die  jetzt  Cäsar  besitzt, 
in  unsre  Hände  zu  bekommen?  ^^)  Werden  also  dieselben  Personen,  Cäsar,  die  es 
nur  deiner  Milde  verdanken,  dass  sie  straflos  geblieben,  im  Stande  sein,  mit  ihren 
Vorstellungen  dich  zur  Grausamkeit  zu  reizen? 

In  dieser  Sache,  Tubero,  habe  ich  einigermassen  von  deiner,  noch  viel  mehr 
aber  von  deines  Vaters  Seite  die  Klugheit  zu  vermissen,  sofern  ein  so  gescheider  und 
gebildeter  Mann  nicht  bemerkt  haben  sollte,  in  was  für  einen  Handel  du  dich  hier 
eingelassen  hast '-) ;  denn  hätte  er  es  bemerkt,  so  würde  er  dir  zu  allem  eher  als  zu 
dem  von  dir  eingeschlagenen  Wege  gerathen  haben.  Du  bezüchtigst  einen  Geständi- 
gen;  noch  mehr:  du  klagst  einen  Mann  an,  dessen  Sache  nach  meiner  Behauptung 

11.  besser  und  selbst  wenn  du  Recht  hast  mindestens  so  gut  als  die  deinige  ist.  Schon 
das  ist  höchlich  zum  verwundern,  aber  ans  Ungeheure  grenzt,  was  ich  jetzt  sage: 
deine  Anklage  bezweckt  nicht  eine  einfache  Verurtheilung  des  Ligarius,  sondern  ein 
Todesurtheil.  Soweit  hat  es  noch  nie  ein  Römer  vor  dir  getrieben ;  ein  so  blutdürsti- 
ger Hass  ist  uns  glücklicherweise  fremd  und  findet  sich  nur  bei  leichten  Griechen*'^) 


'°)  Die  Worte:  quae  tua  mens,  oculi,  manns,  ardor  animi?  bieten  in  ihrer  Kürze  für  eine  ent- 
sprechende  Übersetzung  unüberwindliche  Schwierigkeiten.  Hier  ist  zu  einem  Mittel  gegriffen  worden,  dessen 
keine  Sprache  entbehren  kann,  zu  dem  Zeugma:  wohin  stand  dein  Sinn,  dein  Auge.  Übrigens  scheint 
mir  der  Redner  bei  Anwendung  der  vier  Redefiguren,  welche  Quintilian  in  der  Stelle  nachweist,  des  Guten 
doch  etwas  zu  viel  gethan  zu  haben. 

*•)  also  einen  Zweck,  der  in  Cäsars  Augen  kaum  strafwürdig  sein  kann,  sofern  dieser  ja  den 
gleichen  verfolgte.  Wenn  daher  Halm  offenbar  zustimmend  Quintilians  Bemerkung  zu  den  folgenden  Worten : 
quorum  igitur  impunitas  etc.  anführt:  enthymema  non  semper  ad  probandum  adhibetur,  sed  aliquando  ad  or- 
natum,  so  kann  ich  das  nicht  richtig  finden.  Igitur  (das  trotz  seiner  Stellung  im  Relativsatz  dem  Hauptsatz 
angehört)  dient  auch  hier  zur  probatio  und  wäre  andernfalls  unverständlich:  „also,  d.  h.  eben  weil  unser 
Zweck  kein  schlimmer  war,  wird  Cäsar  sich  nicht  —  reizen  lassen,  zumal  von  Leuten,  denen  er  aus  dem 
gleichen  Grunde  —  wenn  auch  vermöge  seiner  dementia,  die  der  Redner  auch  hier  so  klug  ist  in  den  Vorder- 
grund zu  stellen  —  verziehen  hat,"  Bei  dieser  Veranlassung  möge  hier  noch  eine  Berichtigung  der  Halm- 
schen  Anmerkung  ihre  Stelle  finden.  Halm  meint,  in  Quintilians  Worten  9,  2,  29:  in  hac  sententia  ad- 
mirabiliter  utriusque  partis  facit  bonam  causam,  sed  hoc  eum  demeretur,  cujus  mala  fuerat  —  sei  unter  eum 
Ligarius  zu  verstehen.  Nach  Ciceros  Überzeugung,  die  auch  für  den  kaiserlichen  Rhetor  allein  massgebend 
sein  kann,  war  bekanntlich  Cäsars  Sache  mala,  und  überdies  hat  der  Ausdruck  demeretur  schlechterdings  nar 
dem  mächtigen  Dictator,  nicht  dem  armen  Clienten  gegenüber  einen  Sinn. 

>2)  genauer :  „welcher  Gattung,  Kategorie  von  Rechtssachen  die  vorliegende  angehört",  nämlich  dem 
genns  turpe  als  causa  inhumana.  Die  Alten  theilten  nämlich  die  Rechtssachen  nach  ihrer  moralischen  Qua* 
lität  in  vier  genera  ein,  honestum,  turpe,  dubium,  humile. 

^^)  An  sich  ist  wohl  der  griechische  Charakter  nicht  so  blutgierig  als  der  römische,  aber  leiden- 
schaftlicher Hass  rlss  die  leichtentzündlichen  (leves)  Griechen  nicht  selten  zu  grossen  Grausamkeiten  fort. 


oder  rohen  Barbaren.    Was  wäre  denn  sonst   deine  Absicht?    Soll  Ligarius  nicht  in 
Rom  sein,   soll  er  der  Heimat  entbehren,  soll  er  nicht  mit  seinen  trefflichen  Brüdern, 
seinem  Oheim  Brocchus  und  dessen  Sohn,  seinem  Vetter,  und  mit  mir  zusammenleben, 
nicht  im  Vaterlande  sein?  Ist  er  es  denn?  Kann  er  das  alles  in  höherem  Grade  ent- 
behren als  es  bereits  der  Fall  ist?    Italien  ist  ihm  verschlossen,  er  lebt  in  der  Ver- 
bannung.   Du  willst  ihm  also  nicht  das  Vaterland ,  das  ihm  ja  schon  genommen  ist, 
sondern  das  Leben  rauben.    Das  hat  sich  in  solcher  Weise  nie  jemand  selbst  nicht  12. 
unter  dem  Dictator  zur  Aufgabe  gemacht,  der  alle,  die  er  hasste,  mit  dem  Tode  bestrafte. 
Er  Hess  aus  eignem  Antriebe  tödten,  ohne  erst  auf  eine  Aufforderung  zu  warten,  und 
lud  sogar  durch  Belohnungen  dazu  ein,  eine  Grausamkeit  freilich,  welche  später  ihre 
Bestrafung  durch  eben  den  Mann  gefunden  hat,  dem  du  jetzt  zumuthest  grausam  zu  sein. 
V.  „Aber  das  verlange  ich  ja  gar  nicht"  wirst  du  sagen.    Das  glaube  ich  dir 
gerne,  Tubero;  ich  kenne  ja  dich,  deinen  Vater,  dein  ganzes  Haus.    Die  Liebe  eures 
Geschlechts  und  eurer  Familie  zu  allem  Guten  und  Schönen,  zu  gelehrter  Bildung  und 
zu  so  vielen  edlen  Wissenschaften  ist  mir  wohl  bekannt.    Daher  weiss  ich  gewiss,  13. 
dass  ihr  nicht  blutgierig  seid,   aber  ihr  wisst  nicht,  was  ihr  thut.    Denn  die  Sache 
läuft  doch  darauf  hinaus,  dass  man  von  euch  denken  muss,  ihr  seid  mit  der  Strafe, 
die  noch  immer  über  Ligarius  verhängt  ist,  nicht  zufrieden.    Was  gibt  es  denn  sonst 
für  eine  als  den  Tod?    Denn  wenn  er  in  der  Verbannung  ist,  wie  er  es  ist,  was  ver- 
langt ihr  weiter?    Etwa,  dass  er  nicht  begnadigt  werde?  '*)    Aber  das  wäre  ja  noch 
viel  härter  und  grausamer.    Was  wir  mit  Bitten  und  Thränen  fussfällig  erflehen,  nicht 
sowohl  im  Vertrauen  auf  unsre  Sache  als  auf  Cäsars  Milde,  das  willst  du  hintertreiben, 
willst  dich  in  unsern  tief  bekümmerten  Kreis  gewaltsam  eindringen  und  uns,  während 
wir  ihm  zu  Füssen  liegen,  das  Wort  demüthiger  Bitte  verwehren?    Hätten  wir  das  inu. 
seinem  Hause  gethan,  wie  wir  es  denn  wirklich  uud  hoffentlich  nicht  erfolglos  gethan 
haben,  und  du  wärest  alsdann  plötzlich  hereingestürmt  mit  dem  Rufe :  „Verzeihe  nicht, 
Cäsar,  habe  kein  Mitleid  mit  den  Brüdern,  die  dich  beschwören,  ihren  Bruder  zu  be- 
gnadigen!" müsstest  du  da  nicht  alles  menschliche  Gefühl  abgelegt  haben?  Und  doch 
von  wie  \iel  grösserer  Gefühllosigkeit  zeugt,  was  du  jetzt  thust,   indem  du  auf  offe- 
nem Forum  bekämpfst,  was  wir  uns  in  der  Stille  seines  Hauses  erbitten,  und  so  man- 
chen, die  im  Elende  sind,  die  Zuflucht  der  Gnade  '^)  abschneiden  willst.    Ich  will  ganz 
unverholen  sagen,  was  ich  denke,  Cäsar.    Wenn  du  mit  deinem  grossen  Glücke  nicht 
so  grosse  Milde  verbändest,  an  welcher  du  aus  eigenem  Antrieb  —  ich  wiederhole,  15. 
und  weiss  was  ich  damit  sage :  aus  eigenem  Antrieb  —  festhältst,  so  würde  an  deinen 


**)  Dass  dies  wirklich  der  Zweck  der  Anklage  war,  versteht  sich.  Auch  hier  soll  die  Schwäche 
des  Gegenbeweises  durch  Aufführung  einer  rührenden  So^ne  verdeckt  werden.  Dabei  ist  jedoch  zu  beachten, 
dass  die  Sache  dem  römischen  Ohre  nicht  so  weinerlich  geklungen  bat,  da  die  lateinischen  Ausdrücke  für 
dieselben  Begriffe  durchschnittlich  stärker  und  drastischer  sind  als  die  deutschen,  so  dass  der  Ton  der  deut- 
schen Übersetzung  in  solchen  Fällen  eigentlich  immer  etwas  herabgestimmt  werden  muss.  Flens  z.  B.  be- 
zeichnet oft  nur  einen  hohen  Grad  von  Bekümmerniss.   Cic.  Verr.  2,  4,  85.  Sest.  §.  26.  Caes.  b.  g.  1,  20.  c.  1,  76. 

•^)  misericordiae  ist  nicht  (wie  Halm  will)  ein  objektiver,  sondern  ein  epexegetischer  oder  Identitäts- 
genitiv,  was  o£fenbar  den  kräftigeren  Sinn  gibt. 


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5 


10 

Sieg  eine  Fülle  des  bittersten  Jammers  sich  knüpfen.  Denn  wie  viele  gäbe  es  unter 
der  siegenden  Partei,  die  dich  gerne  grausam  sehen  möchten,  da  sich  sogar  unter  der 
besiegten  solche  finden!  Wie  viele  würden  mit  dem  Verlangen,  du  sollest  keinem 
Verzeihung  gewähren,  deiner  Milde  in  den  Weg  treten,  wenn  sogar  diese  Männer  hier, 
denen  du  selbst  verziehen  hast,  dich  nicht  mitleidig  gegen  andere  sein  lassen  wollen! 

jg  Könnten  wir  Cäsarn  den  Glauben  beibringen,  Ligarius  sei  gar  nicht  in  Afrika  gewesen, 
wollten  wir  durch  eine  solche  erlaubte,  mitleidige  Nothlüge  einen  unglückHchen  Mit- 
bürger retten,  so  stände  es  doch  keinem,  dem  ein  menschliches  Herz  im  Busen  schlägt, 
wohl  an,  angesichts,  einer  so  grossen,  dringenden  Gefahr  eines  Mitbürgers  unsere 
Lüge  zu  widerlegen  und  aufzudecken,  und  wenn  es  je  einem  zustände,  so  doch 
sicherlich  nicht  demjenigen,  der  auf  derselben  Seite  und  in  derselben  Lage  gewesen. 
Und  doch  ist  es  noch  ein  grosser  Unterschied,  ob  man  Cäsarn  nur  nicht  im  Irrthum 
sehen  oder  ihn  nicht  Gnade  üben  lassen  will.  Im  ersteren  Falle  müsstest  du  sagen: 
„glaube  es  nicht,  Cäsar;  er  war  in  Afrika,  er  trug  die  Waffen  gegen  dich".  Aber 
wie  sprichst  du  jetzt?  „Verzeihe  nicht!"  So  spricht  nicht  Mensch  zu  Mensch,  und  wer 
zu  dir,  Cäsar,  so  spricht,  kann  damit  wohl  beweisen,  dass  er  selbst  kein  menschliches 
Gefühl  hat,  nimmermehr  aber  dir  das  deinige  entreissen. 

17.  VL  Tuberos  erster  Schritt  beim  Einbringen  seines  Klagegesuches  bestand,  wie 

ich  mir  denke,  in  der  Erklärung,  das  Verbrechen  *^)  des  Ligarius  zur  Sprache  bringen 
zu  wollen.  Ohne  Zweifel  hast  du  dich  gewundert,  warum  gegen  niemand  sonst  und  von 
keiner  Seite  her  Klage  erhoben  werde,  und  warum  gerade  Tubero,  der  doch  auf  der- 
selben Partei  gestanden,  als  Ankläger  auftrete,  und  was  er  wghl  für  ein  besonderes '') 
Verbrechen  vorzubringen  habe.  Verbrechen  nennst  du  es,  Tubero?  warum?  diesen 
Namen  hat  man  bis  jetzt  der  Theilnahme  an  jener  Partei  noch  nicht  gegeben.  Man 
spricht  von  Verirrung  oder  moralischer  Schwäche,  wer  strenger  urtheilen  will,  von 
Hoffnung,  Leidenschaft,  Hass,  Hartnäckigkeit;  die  stärkste  Bezeichnung  dafür  ist  Un- 
besonnenheit ;  Verbrechen  hat  es  ausser  dir  bis  jetzt  noch  niemand  genannt.  Ich  mei- 
nerseits würde,  wenn  es  sich  um  die  richtige  und  eigentliche  Bezeichnung  unseres  Un- 
glücks handelt,  sagen:  es  war  ein  vom  Schicksal  verhängtes  Missgeschick,  das  über 
uns  hereingebrochen  ist  und  sich  der  ahnungslosen  Menschen  bemächtigt  hat,  wess- 
wegen  niemand  sich  wundern  darf,  dass  die  unwiderstehHche  götthche  Macht  den  Rath 

jg  der  Menschen  zu  nichte  gemacht  hat.  Lasse  mau  uns  doch  unglücklich  sein,  wie- 
wohl wir  es  unter  einem  solchen  Sieger  nicht  sein  können;   allein  ich  spreche  auch 


*•'')  Nicht  „ein  Verbrechen".  Cäsar  muss  de  scelere  Ligarii  \on  Anfang  an  von  dem  bestimm- 
ten Verbrechen  des  Pompejanismus  verstanden  haben,  sonst  könnte  ihm  keine  Verwunderung  darüber  zuge- 
schrieben werden,  dass  bei  einer  solchen  Menge  von  Ponipejaneru  Ligarius  der  einzige  Angeklagte  sei.  Allein 
eben  dieser  Umstand  muss  ihn  sofort  auf  die  Vermuthuiig  führen,  dass  es  sich  wohl  bei  Ligarius  nicht  um 
die  gemeinsame,  nirgends  zum  Gegenstand  einer  Anklage  gemachte  Schuld  der  Parteinahme  im  allgemeinen, 
eondern  um  etwas  ganz  besonderes,  wie  etwa  um  einen  gegen  C'üsars  Leben  gerichteten  Anschlag  oder  der- 
gleichen, handeln  werde. 

^')  novi  sceleris.  Warum  nach  Halm  sceleris  durchaus  ein  Glossem  sein  soll ,  sehe  ich  nicht  ein. 
Es  kann  mindestens  ebenso  gut  stehen  als  fehlen,  ja  man  würde  es  insofern  etwas  vermissen,  als  sich  das 
folgende  scelus  tu  illud  vocas?  leichter  anschliesst,  wenn  dasselbe  Wort  unmittelbar  vorhergeht. 


11 

nicht  von  uns,  sondern  von  denen,  die  nicht  mehr  sind.    Mögen  sie  leidenschaftlich, 
erbittert,  hartnäckig  gewesen  sein,  nur  mit  der  Beschuldigung  des  Verbrechens,  des 
Aufruhrs,  des  Hochverraths  möge  man  Pompejus   und  so  manche  andere  Männer  im 
Grabe  verschonen!  Wann  hat  irgendjemand  dies  Wort  aus  deinem  Munde  vernommen, 
Cäsar?  oder  welch  einen  andern  Zweck  hattest  du  bei  deiner  bewaffneten  Erhebung, 
als  ein  dir  zugefügtes  kränkendes  Unrecht  abzuwehren?  Wofür  trat  dein  sieggewohntes 
Heer  in  die  Schranken,  als  für  die  Vertheidigung  seines  Rechts  und  deiner  Ehre?    Und 
indem  du  Frieden  wünschtest,  wolltest  du  da  mit  Verbrechern  oder  mit  guten  Bürgern 
dich  vertragen?    Was  insbesondere  mich  betrifft,  Cäsar,  so  müsste  es  deine  unermess- 19. 
liehen  Verdienste  um  mich  in  meinen  Augen  wenigstens  einigermassen  verringern,  wenn 
ich  mich  als  einen  von  dir  begnadigten  Verbrecher  anzusehen  hätte.    Und  wie  hättest 
du  dich  um  den  Staat  so  verdient  machen  können,  da  du  ja  alsdann  eine  solche  Menge 
von  Verbrechern  in  vollen  Ehren   und  Würden   gelassen  hättest?   Eine  Trennung  in 
zwei  politische  Lager  war  die  Sache  anfangs  in  deinen  Augen,  Cäsar,  kein  Krieg;  kein 
Kampf  erbitterter  Feinde,  sondern  ein  Zwist  unter  Bürgern  Eines  Staates,  wobei  beide 
Theile  das  Bestehen  der  Repubhk  wollten,   aber  theils  in  ihren  Ansichten  theils  in 
ihren  Bestrebungen  den  rechten  Weg  zum  allgemeinen  Besten  verfehlten.  Die  Häupter 
standen  sich  an  Würde  fast  gleich,  vielleicht  nicht  ebenso  ihre  Anhänger;  welche  Partei 
das  Recht  auf  ihrer  Seite  hatte,   war  damals  schwer  zu  entscheiden,  da  beide  etwas 
hatten,   was  für  sie  sprach;  jetzt  allerdings  muss  man  diejenige  für  die  bessere  er- 
klären, für  welche  auch  die  Götter  durch  ihren  Beistand  sich  erklärt  haben.    Nachdem 
wir  aber  noch  dazu  deine  Grossmuth  kennen  gelernt,  wer  wollte  sich  da  nicht  durch 
einen  Sieg  befriedigt  fühlen,  welchem  niemand  zum  Opfer  fiel,  es  sei  denn  mit  den 
Waffen  in  der  Hand? 

Vn.  Doch,  um  von  der  gemeinsamen  Sache  auf  unsre  besondere  zu  kommen,  was  20. 
hättest  du  wohl,  Tubero,  für  das  leichtere  gehalten,  dass  Ligarius  Afrika  verliess  oder 
dass  ihr  gar  nicht  nach  Afrika  gienget?    „Konnten  wir  es  ^^)  denn",  wirst  du  sagen, 
„da  es  der  Wille  des  Senats  gewesen?"    Wenn  du  mich  ^9)  fragst,  allerdings  nicht. 
Allein  den  Ligarius  hatte  gleichfalls  der  Senat  dorthin  gesandt.    Und  zwar  leistete  er 
Folge  zu  einer  Zeit,  wo  man  dem  Senat  Folge  leisten  musste,  ihr  dagegen  zu  einer 
Zeit,  wo  es  in  dieser  Beziehung  jeder  hielt,  wie  er  wollte.    Will  ich  wohl  hiemit  einen 
Tadel  aussprechen?    Keineswegs;  ihr  konntet  nicht  anders,   ohne  eurem  Geschlecht 
und  Namen  und  allen  Grundsätzen  eurer  Familie  untreu  zu  werden ;  aber  ich  kann  nur 
nicht  zugeben,  dass  ihr  an  andern  tadelt,  was  ihr  an  euch  rühmt.   Tubero  (der  Vater)  21. 
kam  nach  einem  Senatsbeschluss  bei  der  Verlosung  der  Provinzen  in  den  Wurf,  wäh- 
rend er  abwesend  und  sogar  durch  Krankheit  zu  erscheinen  verhindert  war.    Er  hatte 
beschlossen  abzulehnen.    Ich  weiss  das  wegen  aller  der  engen  Beziehungen,  in  welchen . 
ich  zu  ihm  stehe,  denn  wir  wurden  in  Rom  zusammenerzogen,  waren  im  Felde  Zeit- 
genossen, nachher  verschwägert  und  während  unsres  ganzen  Lebens  vertraute  Freunde ; 


^^)  nämlich  nicht  uacli  Afrika  gehen. 

««j  den  loyalen  Verfechter  der  Autorität  des  Senats. 


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12 


ein  mächtiges  Band  war  auch  die  beständige  Gemeinsamkeit  unsrer  Studien.  Daher 
weiss  ich  wohl,  dass  Tubero  zu  Hause  bleiben  wollte.  Aber  von  einer  gewissen  Seite 
her  '<*)  setzte  man  ihm  so  zu,  hielt  ihm  den  heiligen  Namen  des  Vaterlands  so  dringend 
entgegen,  dass  er,  selbst  bei  abweichender  Ansicht,  doch  schon  so  inhaltsschweren 
22. Worten'^')  nicht  widerstehen  konnte.  So  gab  er  denn  dem  gewichtigen  Zureden  des 
hochstehenden  Mannes  nach  oder  vielmehr  gehorchte  ihm,  und  machte  sich  in  Gesell- 
schaft von  lauter  Parteigenossen  auf  den  Weg.  Aber  er  reiste  etwas  langsam  und  so 
fand  er  bei  seiner  Ankunft  Afrika  schon  in  Besitz  genommen.  Dies  ist  nun  der 
Punkt,  von  welchem  die  Anklage  oder  vielmehr  die  Erbitterung  gegen  Ligarius  sich 
herschreibt.  Denn  wenn  ein  blosser  Wunsch  eine  Anklage  '*-)  begründet,  so  begründet 
euer  Wunsch,  Afrika,  diese  bedeutendste  und  für  einen  Krieg  gegen  Rom  wie  geschaf- 
fene Provinz,  zu  besitzen,  eine  solche  nicht  minder  als  der  Wunsch  eines  andern,  diese 
Provinz  lieber  für  sich  in  Besitz  zu  nehmen.  Und  dieser  andere  war  nicht  einmal  Liga- 
rius, sondern  Vatus  behauptete,  Inhaber  der  obersten  Gewalt  zu  sein,  jedenfalls  war 
er  im  Besitze  der  Fascen  (d.  h.  im  thatsächlichen  Besitze  der  Gewalt). 

23.  Doch  wie  es  sich  auch  hiemit  verhalten  mag,  was  soll  denn  eure  Klage  be- 
deuten: „man  hat  uns  den  Eintritt  in  die  Provinz  versagt"?  Setzt  den  Fall,  man 
hätte  ihn  euch  gestattet,  würdet  ihr  die  Provinz  Cäsarn  übergeben  oder  gegen  Cäsar 
gehalten  haben?  ^^)  VIII.  Siehe,  Cäsar,  wie  dreist  oder  vielmehr  wie  kühn  mich  deine 
Grossmuth  macht.  Antwortet  Tubero,  sein  Vater  würde  Afrika,  wohin  der  Senat  und  das 
Loos  ihn  geschickt,  dir  übergeben  haben,  so  stehe  ich  nicht  an,  diese  seine  Absicht 
sogar  dir  gegenüber,  in  dessen  Interesse  doch  ihre  Ausführung  lag,  aufs  emstlichste 
zu  tadeln.    Denn  wenn  die  Sache  dir  auch  angenehm  gewesen  wäre,  würdest  du  sie 

24.  darum  doch  nicht  auch  gebilligt  haben.    Doch  ich  verlasse  jetzt  diesen  ganzen  Punkt 
nicht  sowohl  um  nicht  deine  so   geduldigen  Ohren  zu  beleidigen,   als  um  nicht  am' 
Ende  die  Meinung  zu  erregen,  Tubero  habe  wirklich  etwas  thun  wollen,  woran  er 


13 


20"! 


')  quidam  hat  nur  Sinn,  wenn  damit  ein  noch  lebender  Mann,  also  nicht  Pompejus,  gemeint 
ist.     Aber  wer  derselbe  war,  ist  nicht  mehr  zu  ermitteln. 

21)  wie  eben  z.  B.    dem  Worte   Vaterland.     Die  Übersetzung   möchte  an  Schillers  „drei  Worte 
nenn  ich  euch  inhaltsschwer"  erinnern. 

^2)  si  crimen  est  voluisse    nach  Halm.    Der  Gegenstand  des  Wunsches  ist  (wie  auch  in  der  Über- 
setzung) dem  unmittelbar  folgenden  zu  entnehmen.    Schulz  liest  prohibere  illum  voluisse  mit  der  Bemerkung 
prohibere  sei  durch  die  besten  codd.  geschützt,  während  Halm  die  Lesart  nicht  einmal  erwähnt.    Gegen  die- 
selbe scheint  mir  jedenfalls  zu  sprechen,  dass  es  sich  nicht  von  einem  voluisse  prohibere  sondern  von  einem 
vollendeten  prohibuisse  handelt. 

**)  Fuissetis  (die  Lesart  aller  codd.)  würde  ich  unbedingt  gegen  Halms  auf  Lambin  und  Madvig 
sich  stützende  Änderung  fuistis  aufrecht  erhalten.  Durch  diese  „Verbesserung"  wird  nach  meinem  Gefühle 
eine  Feinheit  zerstört,  indem  durch  den  Conjunctiv  jeder  Gedanke,  als  ob  eine  solche  Absicht  bei  den  Tube- 
ronen in  Wirklichkeit  jemals  vorhanden  gewesen  und  nur  wegen  Nichteintretens  der  Vorbedingung  nicht 
zur  Ausführung  gekommen  wäre,  von  vornherein  aufs  entschiedenste  abgeschnitten  werden  soll.  Übrigens 
bedarf  es  nicht  einmal  dieses  Nachweises  der  Zweckmässigkeit  des  Conjnnctivs.  Sagt  Cicero  de  Div.  2,  8  21 
etiamsi  obtemperasset  (Flaminius)  auspiciis,  idem  eventurum  fuisset,  so  darf  und  kann  er  auch  hier  den  Con- 
junctiv setzen,  den  ihm  nur  Gewaltthätigkeit  nehmen  kann.  (Dieselbe  Gewaltthätigkeit  wird  freilich  auch  an 
der  Stelle  de  div.  2,  8,  21  begangen.     Vergl.  ebenso  unten  Anm,  36.) 


■W 


me  gedacht  hat.  Also  ihr  wolltet  nach  Afrika  gehen,  in  die  Provinz,  die  einem  Siege 
Cäsars  unter  allen  den   erbittertsten   und   gefährlichsten  Widerstand   entgegensetzte, 
worm  ein  mächtiger,  feindlich  gesinnter  König,  eine  widerwillig  gestimmte  starke  und 
zahlreiche  römische  Gemeinde  sich  befand.    Ich  frage:  was  hattet  ihr  im  Sinne  zu 
thun?  .Doch  wie  könnte  ich  hierüber  im  Zweifel  sein,  da  ich  ja  sehe,  was  ihr  wirk- 
hch  gethan  habt?    Man  hat  euch  verwehrt,  einen  Fuss  in  eure  Provinz  zu  setzen,  und 
sicherlich  mit  grossem  Unrecht.    Wie  habt  ihr  das  aufgenommen?  bei  wem  euch  über  25. 
die  erlittene  Kränkung  beschwert?  Doch  wohl  bei  dem,  unter  dessen  Panier  am  Kriege 
theUzunehmen  ihr  gekommen  wäret.    Kamt  ihr  also  Cäsars  wegen  in  die  Provinz,  so 
wäret  ihr  sicherlich  nach  eurem  Ausschlüsse  aus  der  Provinz  zu  ihm  gekommen.  Aber 
ihr  kamt  zu  Pompejus.    Wie  könnt  ihr  euch  also  bei  Cäsar  beschweren,  da  ihr  einen 
Mann  anklaget,  der  eurer  eigenen  Beschwerde  zufolge  euch  Cäsarn  zu  bekriegen  ver- 
hindert hat?    Und  so  mögt  ihr  in  diesem  Punkte  meinetwegen  sogar  auf  Kosten  der 
Wahrheit,  wenn  ihr  wollt,  euch  rühmen,  ihr  habet  die  Provinz  Cäsarn  überliefern 
wollen.  ^*)    Waren  es  auch  Varus  und  einige  andere,  die  euch  daran  verhinderten,  so 
werde  ich  doch  bekennen,  Ligarius  sei  der  Schuldige,  der  euch  um  die  Gelegenheit, 
euch  ein  so  grosses  Verdienst  zu  erwerben,  gebracht  hat.^^) 

IX.  Allein  nun  bemerke  doch  auch,  Cäsar,  die  ßeharrUchkeit  des  ehreuwerthen 26. 
Mannes,  von  welcher  ich  bei  aller  Achtung,  die  ich  vor  ihr  habe,  doch  nicht  sprechen 
würde,  wenn  ich  nicht  wüsste,  dass  du  diese  Tugend  besonders  zu  schätzen  pflegst. 
Wo  hat  jemals  ein  Mensch  eine  solche  Beharrlichkeit  entwickelt?  BeharrUchkeit  sage 
ich?  besser  würde  ich  sie  wohl  Lammesgeduld  nennen.    Denn  wie  viele  würden  es 
wohl  über  sich  gewonnen  haben,  in  einem  Bürgerzwiste  zu  der  Partei,  welche  sie  nicht 
angenommen,  ja  mit  grausamer  Härte  zurückgewiesen  hatte,  zurückzukehren?    Dazu 
gehört  eine  grosse  Seele,  dessen  ist  nur  ein  Mann  fähig,  welchen  von  der  einmal  er- 
griffenen Partei  und  dem  gefassten  Entschlüsse  keine  Schmach,  keine  Gewalt,  keine 
Gefahr  abtreiben  kann.    Denn  gesetzt  auch,  Tubero  und  Varus  wären  sich  soi^st  in 27. 
allem  gleichgestanden,   in  Ehre,  edler  Geburt,  glänzender  Stellung  und  Talent,  was 
doch  keineswegs  der  Fall  war,  so  hatte  doch  Tubero  das  voraus,  dass  er  mit  recht- 
mässiger Gewalt  bekleidet  kraft  eines  Senatsbeschlusses  in  seine  Provmz  gekommen 
war.    Hier  abgewiesen  gieng  er  nicht  zu  Cäsar,  um  nicht  erbittert,  nicht  nach  Rom, 
um  nicht  neutral,  nicht  au  irgend  einen  dritten  Ort,  um  nicht  unzufrieden  mit  seiner 
Partei  zu  erscheinen ;  ^ß)  nein,  nach  Macedonien,  in  Pompejus  Lager  gieng  er,  zu  der- 

"^^j  Sie  mögen  dies  thun,  meint  der  Redner,  weil  es  ihnen  doch  niemand  glauben  wird. 

25)  Cicero  will  also  in  diesem  Falle  eine  Unwahrheit  der  andern  entgegensetzen.    Rühmt  sich  Tubero 
dass  er  die  Provinz  Cäsarn  habe  übergeben  wollen  (was  ihm,  wie  gesagt,  niemand  glauben  wird) ,  so  gesteht 
Cicero,  dass  Ligarius  es  war,   der  ihn  hieran  verhindert  habe  (weil  doch  jedermann  dies   so   verstehen  wird 
dass  er  m   Wahrheit  ihn  verhindert  habe  sie  dem  Pompejus  zu  übergeben).  ' 

Übrigens  war  allem  nach  Ligarius  bei  der  harten  Abweisung  der  Tuberonen  mindestens  als  Voll- 
strecker betheiligt,  also  Ciceros  Geständniss  in  diesem  Betreff  in  Wirklichkeit  keine  Unwahrheit;  allein  er 
bürdet  die  ganze  Schuld  dem  Varus  als  dem  Höchstcommandirenden  auf. 

'6)  Die  ziemlich  dunkeln,  von  den  Erklärern  übergangenen  Worte  verstehe  ich  so;  Das  ruhige  Blei- 
ben in  Rom  galt  als  entschiedene  Neutralität,  wurde  wenigstens  von  Cäsar  dafür  anerkannt.     Wer  dagegen 


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14 


28. selben  Partei,  die  ihn  so  schnöde  zuiückgestossen  hatte.  Und  dann,  als  euer  Un- 
fall ihn,  zu  dem  ihr  gekommen,  so  vollkommen  gleichgültig  Hess,  da  kühlte  dies  ohne 
Zweifel  euern  Eifer  für  die  Sache  ziemlich  ab;  ihr  wäret  nur  noch  bei  dem  Heere, 
innerlich  aber  gehörtet  ihr  der  Partei  nicht  mehr  an?  Oder  stand  es  in  dieser  Be- 
ziehung bei  euch  wie  überhaupt  in  Bürgerkriegen,  und  zwar  bei  euch  in  keinem  höhe- 
ren Grade  als  bei  allen  andern  ?  ^')  Waren  wir  ja  doch  alle  von  dem  gleichen  Sieges- 
verlangen beseelt.  Ich  meinestheils  habe  zwar  immer  zum  Frieden  gerathen,  aber 
damals  war  es  zu  spät,  denn  es  wäre  unsinnig  gewesen,  angesichts  eines  Heeres  in 
Schlachtlinie  sich  noch  Friedensphantasien  hinzugeben.  -^)  Wir  alle  also  wollten  sie- 
gen, und  du  jedenfalls  ganz  besonders,  der  du  in  efne  Lage  gekommen  warst,  wo 
du  nur  die  Wahl  zwischen  Sieg  oder  Untergang  hattest.  Allerdings  wie  die  Sachen 
jetzt  stehen,  zweifle  ich  nicht,  dass  du  deine  gegenwärtige  Lage  als  Begnadigter  dem 

29.  damals  gewünschten  Siege  vorziehst.  X.  Ich  würde  hievon  nicht  sprechen,  Tubero,  wenn 
euch  eure  Beharrlichkeit  oder  Cäsarn  seine  Grossmuth  reute.  So  aber  muss  ich  fragen : 
verfolgt  ihr  persönliche  Kränkungen  oder  ein  Vergehen  gegen  den  Staat?  Ist  letzteres 
der  Fall,  wie  wollt  ihr  euch  wegen  eures  eignen  beharrlichen  Festhaltens  an  jener 
Sache  verantworten?  Im  erstem  Falle  dagegen  dürftet  ihr  euch  wohl  sehr  täuschen, 
wenn  ihr  glaubt,  Cäsar,  der  seinen  eigenen  Feinden  verziehen,  werde  gegen  die  euri- 
gen  sich  erbittern  lassen. 

Glaubst  du  also,  ich  mache  hier  den  Anwalt  des  Ligarius  und  suche  sein 
Verhalten  zu  rechtfertigen?  Nein,  alles,  was  ich  gesprochen,  will  ich  nur  auf  den 
einen  Hauptpunkt  der  Menschlichkeit,  der  Grossmuth  und  der  Gnade  bezogen  wissen. 

30. Anwalt,   Cäsar,  bin  ich  manchmal   neben   dir  gewesen,  während  der  Zeit,   da  du 


Überzeugungs  oder  Verhältnisse  halber  sich  von  Pompejus  nicht  trennen,  also  auch  nicht  förmlich  neutral 
bleiben  wollte  oder  konnte,  andererseits  sich  aber  doch  auch  vor  einem  rückhaltlosen  Anschluss  au  Pompejus 
scheute,  sei  es,  dass  er  dennoch  dessen  Absicht  und  Gesinnung  oder  seinen  politischen  und  militärischen 
Fähigkeiten  Cäsarn  gegenüber  misstraute,  der  suchte  sich  wohl  dadurch  zu  helfen,  dass  er  unter  allerlei 
{  scheinbaren  •  Vorwänden  den  Abgang  in  das  Lager  des  Pompejus  so  lauge  als  möglich  hinauszog  und  sich 
zu  diesem  Ende,  um  nicht  zu  einer  Iilntscheiduug  gedrängt  zu  werden,  an  dritten  Orten  (aliquam  =  aliam 
quam  vgl.  1  Catil.  §.  17.  20),  wie  z.  B,  Cicero  auf  seinen  Landgütern,  aufhielt.  Dem  Pompejus  selbst  und 
seiner  Partei  (um  deren  Urtheil  es  sich  in  unserer  Stelle  allein  handelt)  musste  dies  natürlich  als  ein  inner- 
liches (wenn  auch  partielles  und  relatives)  Verurtheilen  der  Partei,  der  man  sich  äusserlich  angeschlossen 
hatte,  erscheinen.  Das  wegen  der  hier  besonders  nothwendigen  Kürze  gewählte  Adjectiv  „unzufrieden"  schien 
diesem  Sinne  des  Ausdrucks  causam  condemnaro  am  meisten  zu  entsprechen,  wenigstens  ziemlich  nahe 
zu  kommen. 

*')  Zwingende  Gründe  zur  Annahme  einer  Texteslücke  scheinen  mir  nicht  vorhanden  zu  sein. 
Die  Worte  lassen  sich  salvis  melioribus  zur  Noth  wohl  so  zurechtlegen:  ut  fit  in  civilibus  bellis  ist  nicht 
Zwischensatz  (wesswegen  ich  auch  nach  an  nicht  iuterpungiren  würde),  sondern  Hauptsatz  und  Gegensatz  zu 
languidiore  studio,  also  etwa  =  an  eo  studio  (in  causa  fuistis),  quod  in  civilibus  bellis  solet  esse,  d.  h.  mit 
brennendem,  leidenschaftlichem  Eifer.  Durch  diese  Wendung  fügt  Cicero  gleich  auch  eine  Entschuldigung 
dieses  Eifers  bei,  die  ja  nicht  bloss  dem  Tubero  sondern  allen  (reliquis),  also  auch  dem  Cicero  und  seinem 
Clienten  zu  statten  kommt.  Durch  dieses  an  ut  flt  geht  demnach  die  Rede  mit  einer  schnellen  Wendung 
von  der  Ironie  zum  Ernst  zurück. 

*")  cum  aciem  videres,  pacem  cogitare.  Offenbar  bildet  nicht  bloss  aciem  und  pacem,  sondern 
ebenso  sehr  auch  videre  und  cogitare  einen  betonten  Gegensatz,  wobei  videre  das  unmittelbar  und  sinnlich 
gewisse,  cogitare  das  Spielen  mit  unrealen  Gedanken  bezeichnet. 


■t*^        — 


15 

dir  noch  auf  dem  Forum  deine  Laufbahn  im  Staate  zu  bereiten  hattest,  aber  sicher- 
lich hat  es  dabei  nie  gelautet:  „verzeiht,  Richter;  es  war  ein  Irrthimi,  eine  Schwach- 
heit von  ihm,  er  meinte  es  nicht  böse ;  es  soll  nie  wieder  vorkommen!"  So  pflegt  mau 
einem  Vater  gegenüber  zu  sprechen.  Vor  Richtern  dagegen  heisst  es:  „er  hat  es  nicht 
gethan,  hat  nicht  daran  gedacht;  die  Zeugen  sind  falsch,  die  Anklage  erdichtet."  Er- 
kläre, Cäsar,  du  sitzest  hier  als  Richter  über  Ligarius,  frage,  für  wen  er  die  Waffen 
getragen,  und  ich  schweige,  ja  berufe  mich  nicht  einmal  auf  die  mildernden  Umstände, 
die  vielleicht  auch  bei  einem  Richter  in  die  Wagschale  fielen:  „als  Legat  vor  dem 
Kriege  abgegangen  und  als  solcher  im  Frieden  zurückgelassen,  vom  Kriege  überrascht 
und  auch  im  Kriege  kein  erbitterter  Gegner  ist  er  jetzt  mit  Herz  und  Sinn  ganz  der 
Deinige."*^)  So  pflegt  man  vor  einem  Richter  zu  sprechen,  ich  aber  rede  zu  einem 
Vater:  „er  hat  gefehlt,  hat  unbesonnen  gehandelt,  aber  bereut  es;  ich  nehme  meine 
Zuflucht  zu  deiner  Milde,  begehre  Verzeihung  für  seineu  Fehltritt,  bitte  um  Vergebung 
für  ihn!"  Wenn  diese  noch  niemand  zu  Theil  geworden,  dann  freilich  ist  es  eine  An- 
massung  von  mir,  wenn  aber  schon  vielen,  so  hilf  nun  auch,  wie  du  die  Hoffnung  dazu 
erweckt  hast.  Oder  sollte  Ligarius  nicht  hoffen  dürfen,  während  ich  bei  dir  sogar 31. 
Fürbitte  für  einen  andern  einlegen  darf?  Doch  so  wenig  die  Hoffnung  für  ihn  auf 
dieser  meiner  Fürsprache  beruht,  so  wenig  beruht  sie  auf  den  Bemühungen  deiner 
Vertrauten,  die  sich  bei  dir  für  Ligarius  verwenden.  XL  Denn  ich  habe  wohl  be- 
merkt und  weiss,  was  bei  dir  hauptsächlich  in  Betracht  kommt,  wenn  viele  sich  für 
eine  Begnadigung  bemühen,  dass  nämlich  die  Bittsteller  sich  bei  dir  mehr  durch  ihre 
Sache  als  durch  ihre  Person  empfehlen,  uüd  dass  du  nicht  darauf  siehst,  wie  nahe 
der  Bittende  dir,  sondern  wie  nahe  er  dem  steht,  für  welchen  er  sich  bemüht.  Wie- 
wohl du  nun  gegen  deine  Freunde  dich  so  willfährig  erzeigst,  dass  mir  diejenigen, 
welche  deine  Güte  gemessen  dürfen,  bisweilen  noch  glücklicher  vorkommen  als  du 
selbst,  der  ihnen  so  vieles  gewährt,  so  weiss  ich  doch,  wie  gesagt,  dass  Gründe  bei 
dir  mehr  gelten  als  Bitten,  und  dass  diejenigen  am  meisten  bei  dir  Eindruck  machen, 
bei  denen  du  findest,  dass  ihre  Fürbitte  auf  der  begründetsten  und  tiefsten  Theil- 
nahme  beruht. 

Was  nun  den  Q.  Ligarius  betrifft,  so  wirst  du  zwar  durch  seine  Begnadigung  32. 
vielen  deiner  Freunde  einen  Gefallen  erweisen,   aber  lass  doch  auch  hier  deine  ge- 


^^)  nach  der  allein  zweckmässigen,  der  sinnlosen  Lesart  der  Handschriften  am  nächsteh  kommen- 
den Madvigschen  Verbesserung:  jam  est  totus  animo  ac  studio  tuus.  Nach  Halms  Lesart:  tametsi  dijunctus, 
animo  etc.  muss  bei  dem  Fehlen  jeder  eine  andere  Zeit  andeutenden  Partikel  (wie  nach  unsrer  Lesart  jam) 
das  dritte  Sätzepaar  nothwendig  auf  dieselbe  Zeit  wie  das  zweite  bezogen  worden,  denn  sicherlich  wird  nie- 
mand dijunctus  von  der  durch  des  Ligarius  jetziges  Exil  bewirkten  bloss  localen  Trennung  von  Cäsar  ver- 
stehen, wie  denn  Halm  selbst  dieses  dijunctus,  das  ohnehin  schon  an  sich  für  einen  Exilirten  ein  unpassen- 
der Ausdruck  wäre,  durch  ein  hinzugefügtes  a  tuis  partibus  offenbar  auf  die  Zeit  des  Bürgerkriegs  bezieht. 
Aber  dadurch  wird  Cäsarn  das  Unglaubliche  zu  glauben  zugemuthet,  Ligarius  sei  selbst  im  pompejani- 
schen  Lager  innerlich  völlig  auf  Cäsars  Seite  gestanden,  und  während  im  zweiten  Satze  das  Höchste,  was 
Cicero  von  Ligarius  zu  sagen  wagt  und  honnetterweise  sagen  kann,  ein  gemässigtes  negatives  in  eo  ipso  (hello) 
non  acerbus  ist,  wird  es  im  Handumdrehen  durch  den  dritten  in  ein  höchst  positives  animo  ac  studio  tua$ 
verwandelt« 


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16 

wohnliche  Erwägung  »O)  eintreten.  Ich  kann  dir  durchaus  wackere  und  bei  dir  wohl- 
gelittene Sabiner  nebst  dem  ganzen  Sabinerlande,  der  Blüte  Italiens  und  dem  Kerne 
der  Republik,  vorführen;  du  kennst  sie,  diese  vortrefflichen  Leute.  Bemerke,  wie  nie- 
dergeschlagen und  bekümmert  sie  alle  sind;  die  Thränen  und  den  Traueraufzug  des 
T.  Brocchus  hier,  hinsichtlich  dessen  ich  nicht  im  Zweifel  bin,   wie  er  bei  dir  ange- 

33. schrieben  steht,  sowie  seines  Sohnes  siehst  du.'*')  Und  was  soll  ich  von  Ligarius 
Brüdern  sagen?  Glaube  nicht,  Cäsar,  dass  ^s  sich  nur  um  ein  Haupt  handelt;  drei 
Ligarier  musst  du  dem  Vaterlande  erhalten  oder  alle  drei  aus  dem  Vaterlande  treiben. 
Denn  jeder  Verbannungsort  ist  ihnen  lieber  als  Vaterland,  Haus  und  Penaten,  wenn 
der  eine  verbannt  bleibt.  Wofern  ihr  Benehmen  von  treuer,  brüderlicher  Liebe  und 
wahrem  Schmerze  zeugt,  so  lass  dich  von  ihren  Thränen,  ihrer  Treue,  ihrem  Bruder- 
sinne rühren,  lass  jenes  grosse  Wort  sich  bewähren,  das  dir  den  Sieg  errungen  hat. 
Wir  hörten  ja  deine  Erklärung :  wir  (Pompejaner)  halten  alle  für  Gegner,  die  nicht  für 
uns  seien,  du  alle  für  Freunde,  die  nicht  gegen  dich  seien.  Nun  siehe,  diese  ganze 
hochachtbare  Versammlung,  diese  Brocchische  Familie,  dieser  L.  Marcius,  C.  Cäsetius, 
L.  Corfidius,  alle  diese  römischen  Ritter  im  Trauergewande,  nicht  bloss  bekannte,  son- 
dern auch  von  dir  hochgeschätzte  Männer,  sie  alle  sind  auf  deiner  Seite  gestanden.  »*) 
Ihnen  zürnten  wir,  sie  vermissten  wir  in  unsern  Reihen,  ja  von  einigen  Seiten  mussten 
sie  sogar  Drohungen  vernehmen.  So  erhalte  denn  deinen  Freunden  die  Ihrigen,  da- 
mit, wie  alle  deine  Worte,  so  auch  dieses  als  volle  Wahrheit  erfunden  werde.    ' 

34  XII.  Könntest  du  mit  der  unter  diesen  Brüdern  herrschenden  Eintracht  so  ganz 

bekannt  sein^^),  du  würdest  urtheilen,  sie  alle  seien  auf  deiner  Seite  gestanden.  Kann 
denn  darüber  irgend  ein  Zweifel  bestehen,  dass  Q.  Ligarius  die  Gesinnung  seiner  Brü- 
der getheilt  haben  würde,  wenn  er  in  Italien  hätte  sein  können?  Wer,  der  da  weiss, 
wie  völlig  und  fast  unauflöslich  eins  diese  brüderlichen  Naturen  sind,  wäre  nicht  über- 
zeugt, dass  eher  alles  andere  zu  erwarten  stand,  als  dass  diese  Brüder  verschiedenen 
Parteien  und  Glückssternen  gefolgt  wären?  Der  Gesinnung  nach  waren  also  alle  auf 
deiner  Seite,  und  nur  den  einen  hat  der  Sturm  der  Zeit  mit  fortgerissen;  aber  selbst 
wenn  es  Absicht  bei  ihm  gewesen  sein  sollte,  stände  er  dennoch  nur  denen  gleich, 


30)  considera,  quod  soles,  i.  e.  magis  causas  qnam  valtus  (ra  itqoidinci)  rogantium^ 

3»)  \ides.  Richters  vide,  was  aucli  Halm  „▼ielleicht  richtiger''  findet,  stellt  zwar  einen  Parallelis- 
mus mit  animadverte  her,  aber  ohne  nöthigenden  Grund  und  in  einer  nach  meinem  Gefühle  für  die  alsdann  ent- 
stehende Gleichheit  des  Gedankens  nicht  ganz  entsprechenden  Wortstellung.  (Vgl.  z.  B.  §.  3).  Der  Chiasmus 
von  animadverte  und  vides  scheint  mir  den  durch  die  Übersetzung  ausgedrückten  Gegensatz  zu  verlangen. 
Brocchus  als  Oheim  des  Beklagten  und  ohne  Zweifel  auch  als  der  angesehenste  unter  diesen  sabinischen  Land- 
lenten,  der  auch  Cäsarn  bekannter  war  als  sie,  wie  aus  dem  Beisatz  hervorgeht,  stand,  denke  ich  mir,  im 
Vordergrund  und  im  Angesichte  Cäsars,  nicht  ebenso  die  andern,  auf  welche  daher  Cicero  ihn  erst  aufmerk- 
sam machen  zu  müssen  glaubt. 

32)  nemlich  eben  kraft  jenes  Ausspruches:  „wer  nicht  wider  mich  ist,  ist  für  mich*^,  auf  welchen 
igitur  sehr  deutlich  zurückweist.  Nicht  wider  Cäsar  aber  waren  sie  nur  darum,  weil  sie,  wie  auch  das 
folgende  klar  zeigt,  laue  Pompejaner  waren,  die  sich  der  activen  Theilnahme  am  Kriege  zu  entziehen  gewusst 
hatten.     Das  gleiche  gilt  auch  von  den  beiden  in  Rom  gebliebenen  Ligariern. 

^3)  Bei  seiner  hohen  Stellung  und  Aufgabe  ist  es  Cäsarn  natürlich  nicht  möglich,  von  solchen 
vitergeordneten  Prlvatverhältnissen  Notiz  zu  nehmen. 


>•  < 


17 

welche  du  gleichwohl  begnadigt  hast.    Doch  mag  er  immerhia  in  den  Krieg  gezogen,  35. 
mag  er  nicht  nur  mit  dir,  sondern  auch  mit  seinen  Brüdern  in  Zwiespalt  gekommen 
sein:  hier  stehen  deine  Getreuen  und  bitten  dich!  Bei  dem  Antheil,  den  ich  von  jeher 
an  allen  deinen  Angelegenheiten  nahm,  erinnere  ich  mich  noch  recht  wohl,  wie  sich 
.  Titus  Ligarius  als  städtischer  Quästor  dir  und  deiner  damaligen  Stellung  gegenüber 
benommen  hat.  Allein  sicherlich  erinnere  nicht  bloss  ich  mich  dessen;  ich  hoffe,  auch 
du,  der  nichts  zu  vergessen  pflegt  als  Beleidigungen,  weil  beides,  Herz  und  Verstand ,  es 
dir  so  eingibt,  ••*)  werdest  auch  bei  der  Erinnerung  an  gewisse  andere  Quästoren  •'^^)  noch 
ein  wenig  an  den  Dienst  denken,  den  er  dir  damals  als  Quästor  geleistet  hat.    Dieser  36. 
T.  Ligarius  nun,  der  damals,  wo  er  ja  nicht  ahnen  konnte,  dass  die  Dinge  so  kommen 
würden,  keine  andere  Absicht  haben  konnte,  als  dass  du  ihn  für  einen  dir  ergebenen, 
wackeren  Mann  halten  möchtest,  er  fleht  dich  jetzt  um  Gnade  für  seinen  Bruder  an' 
und  gewährst  du  sie  im  Andenken  an  die  Gefälligkeit  des  einen  den  beiden  ^^j 

=*)  quoniam  hoc  est  animi,  quoniam  etiam  ingenii  tui  wird  offenbar  besser  zum  vorangehenden  als 
(mit  Halm)  zum  nachfolgenden  gezogen.  Es  gehört  ein  trefflicheres  Herz  zum  Vergessen  von  Beleidigungen 
als  zum  Behalten  von  Wohlthaten,  und  Ingenium  ist  schwerlich  der  reclite  Ausdruck  für  eine  , Geisteskraft 
die  alles  behalten  kann«,  während  es  in  die  Augen  springt,  wie  passend  bei  meiner  Auffassung  Cäsars  Milde 
zugleich  auch  als  ein  Ausfluss  seines  eminenten  politischen  Verstandes  dargestellt  wird.  Für  dieselbe  scheint 
auch  noch  das  wiederauffassende  te  zu  sprechen,  welches  alles,  was  ihm  vorausgeht,  naturgemäss  als  zu- 
sammengehörig und  untrennbar  hinstellt. 

3S)  Der  Beisatz  quibusdam,  der  nur  dann  Sinn  hat,  wenn  darin  liegt,  dass  der  Redner  aus  scho- 
nender Rücksicht  eine  nähere  Bezeichnung  unterlässt,  macht  es  geradezu  unmöglich,  diese  Erinnerung  an 
andere  Quästoren  in  bonam  partem  zu  verstehen.     Und  warum   soll  Cäsar   sich   nur   an    die  Verdienste   an- 
derer Quästoren  und  nicht  vielmehr  überhaupt  aller,    die  ihm  Dienste  geleistet,  erinnern?   Halms  Ver- 
theidigung  der  entgegengesetzten  Ansicht  scheint  mir  in  allen  Punkten  misslungen.    Die  Notiz  aus  Dio  Cassius, 
dass  Cäsar  in  der  Verlegcnlieit,  wie  er  alle  seine  Anhänger  belohnen  solle,  40  Quästoren  ernannt  habe,  würde' 
nur  dann  hieher  passen,  wenn  diese  neugebackenen  Quästoren  des  Jahrs  45  sich,  zum  Theil  noch  lange  vor 
Ausbruch  des  Krifgs,  gleichfalls  schon  als  Quästoren  um  Cä?ar  verdient  gemacht  hätten.    Zweitens 
sagt  Halm,  der  Vorwurf  sei  unzart.     Allein  ich  finde  nirgends  einen  Vorwurf,    sond'^m  nur  eine  Andeu- 
tung, die  schon  darum  nicht  unzart  sein  kann,    weil  gar  kein  Namo  genannt  ist.     Und  selbst  wenu  dem  so 
wäre,   welche  ganz  andere  Unzarthelten  erlauben   sich  die  alten  Redner  im  Interesse    der  von  ihnen  verthei- 
digten  Sache!    Endlich  sollen  die  Worte:    qui   nihil   oblivisci   soles   nisi   injurias   entgegenstehen.     Aber  wer 
wird  denn  ein  im  Vorübergehen  gemachtes  feines  Compliment,  das  nichts  weiter  ist  als  eine  rhetorische  Floskel, 
auf  die  logische  Goldwago  legen?    Und  steht   denn  nicht  überdies   schon    der  ganze  Process  des  Ligarius  in 
vollkommnem   faktischem  Widerspruch  mit   diesen  Worten?    Müssfen   sie   consequenterweise   nicht  selbst  für 
unecht  erklärt  werden ,   als  unvereinbar   mit  der  Tliatsache  der  Verbannung   des  Ligarius  und  seiner  jetzigen 
Gefahr?    Stellt  man  sich  übrigens  einmal  auf  den  Boden  einer  solchen  Hyperakribie,    so   lässt  sich  ja  auch 
entgegnen ,  der  Ausdruck  oblivisci  soles  schliesse  einzelne  Ausnahmen  durchaus  nicht  aus,  auch  würde  Cäsar 
sich  jenes  ümstands  vielleicht  nicht  mehr  erinnert  haben,  wenn  ihm  nicht  eben  Cicero  das  Gedächtniss  daran 
wieder  auffrischte.     Die  Sache  scheint  mir  einfach  zu  sein:   Cicero  hat  das  Bedürfniss  gefühlt,  das  in  Wirk- 
lichkeit wahrscheinlich '  nicht   eben   sehr  bedeutende  Verdienst  des  Titus  Ligarius  —  vielleicht   eine  prompte 
Ausbezahlung  des  Soldes  zu  einer  für  Cäsar  erwünschten  Zeit  -   durch  den  Gegensatz  gegen  das  minder  ge- 
fällige Benehmen  anderer  Quästoren  in  ein  helleres  Licht  zu  rücken,  und  dabei  nicht  den  mindesten  Scrupel 
darüber  gefühlt,  wie  man  sich  wohl  mit  seinem  qui  nihil  etc.  abfinden  werde. 

^^)  utrisque  his.  Halm:  „den  beiden  bittenden  Brüdern  und  den  beiden  Vettern  Brocchus.^'  Von 
den  letztern,  die  §.  32.  und  33.  vollkommen  abgethan  sind,  kann  hier  die  Rede  nicht  mehr  sein.  Halm  ist 
zu  seiner  Erklärung  ohne  Zweifel  nur  darum  gekommen,  weil  er  den  Pluralis  utriqne  bloss  von  zweien  ge- 
braucht für  nicht  ciceronisch  hielt.  Allein  Cicero  hat  ihn  auch  Verr.  3,  60,  140.  ebenso  sagt  Cäsar  b.  g.  1  53 
von  den  beiden  Frauen  Ariovists  utraeque  perierunt,   und  überdies  liegt  hier  die  Nothwendigkeit  einer  Ab- 

3 


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18 

Brüdern,  so  schenkst  du  drei  treffliche,  rechtschaffene  Brüder  nicht  bloss  sich  selbst 
und  so  vielen  hier  anwesenden  ehrenwerthen  Männern  und  uns,  ihren  Freunden,  son- 

37.  dem  auch  dem  Vaterlande.  Thue  also  jetzt  auch  auf  dem  Forum  an  den  wackern 
und  dieser  ganzen  zahlreichen  Versammlung  so  werthen  Brüdern,  was  du  neulich  an 
einem  Manne  von  hohem  Adel  und  Ansehen  in  der  Curie  gethan  hast.  Wie  du  jenen 
dem  Senate  zulieb  begnadigt  hast,  so  schenke  diesen  dem  Volke,  auf  dessen  Wünsche 
du  ja  immer  so  viel  Werth  gelegt  hast ,  und  war  jener  Tag  für  dich  ein  Tag  des 
höchsten  Ruhmes,  für  Rom  ein  Tag  der  höchsten  Freude,  o  so  versage  dir  es  nicht, 

38.  Cäsar,  ein  gleich  ruhmvolles  Verdienst  dir  so  oft  als  möglich  zu  erwerben.  Nichts  ist 
so  volksthümhch  als  Güte;  keine  deiner  vielen  Tugenden  ist  bewundernswerther  und 
schöner  als  deine  Barmherzigkeit. ")  Durch  nichts  kommen  die  Menschen  der  Gott- 
heit so  nahe  als  durch  Beglücken  ihrer  Mitmenschen.  Das  grösste  an  deinem  Glücke" 
ist  die  Macht  —,  das  edelste  an  deinem  Charakter  der  Wille  recht  viele  zu  retten. 

Die  Sache  verlangt »»)  vielleicht  eine  längere  Rede ,  deinem  Sinne  ist  jeden- 
faUs  eine  kürzere  entsprechender.  Da  ich  es  also  für  besser  halte,  wenn  du  selbst 
mit  dir  redest,  als  wenn  dies  durch  mich  oder  einen  andern  geschieht,  so  will  ich  jetzt 
schliessen  und  nur  das  eine  dir  noch  ans  Herz  legen:  Begnadigst  du  den  Abwesenden, 
so  begnadigst  du  zugleich  alle  hier  Anwesenden. 


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Tveicbung  voD  dem  gewöhnlichen  Sprachgebrauch  aus  einem  höheren  Grunde  auf  der  Hand.  Man  beachte  nur 
die  schöne  arithmetische  Progression:  hie  -  utrique  hl  -  tres.  Konnte  hier,  wo  die  Zweizahl  jedenfalls 
als  Mehrzahl  erscheinen  mnsste  und  uterque  nicht  =  hccregog  sondern  =  ccnv'ireeoi,  das  erste  und  zweite 
(ilied  gleichmässig  den  Singularis  hie  haben?  Hätte  der  Lateiner  einen  Dualis,  so  wäre  die  Klimax  Singu- 
lar! s,  Dualis,  Pluralis  entstanden. 

»')  misericordia.     Der    deutsche  Ausdruck  ist  gewagt,    aber  gerechtfertigt   durch    die  unmittelbar 
folgende  Vergleichung  des  Menschen  mit  der  Gottheit;  auch  sieht  man  leicht,  dass  jeder  andere  zu  schwach  wäre. 

38)  Das  allein  bezeugte  handschriftliche  postulat  ändert  Halm  in  postularit,  1)  weil  forsitan  mit 
Indicativ  bei  Cicero  noch  nicht  sicher  nachgewiesen  sei,  2)  weil  tua  natura  breviorem  orationera  poslulat  am 
Eingange  der  Rede  aber  nicht  am  Schlüsse  statthaft , gewesen  wäre.  Was  den  ersten  Grund  betrifft,  so  be- 
wegt man  sich  in  solchen  und  ähnlichen  Fällen  gerne  in  einem  Cirkel:  man  macht  sichere  Stellen  zu  un- 
Bichern,  emendirt  sie,  nnd  corrigirt  dann  andere  sichere  Stellen  gleichfalls  unter  Berufung  auf  diese  emen- 
dirten.  '  Hand  Tursell.  2,  715  sagt  gut:  antiquiores,  in  iis  Cicero,  raro  admittebant  indicativum  (bei  forsi- 
tan), tarnen  saepius,  quam  critici  arbitrati  sunt,  et  in  iis  quldem,  quae  magis  vera  quam  dubia  vi- 
derentur.  Necdecet  haec,  quae  rario  ra  sunt,  vituperare  aut  corrigere.  Seinen  Ausfüh- 
rungen zufolge  ist  der  Indicativ  die  beglaubigtere  Lesart  in  Verr.  4,  56,  124  und  Fam.  1,  8,  4.  In  der 
mit  der  unsrigeu  dem  Sinne  nach  sehr  verwandten  Stelle  Brut.  13,  52  ist  der  Conjunctiv  sogar,  soviel  ich 
sehen  kann,  reine  Conjectur.  Halms  zweiten  Grund  kann  ich  in  der  That  nicht  verstehen.  Es  steht  hier 
eben  ein  subjectives  Getühl  dem  andern  gegenüber.  Warum  sollte  denn  Cicero  am  Schlüsse  seiner  Rede 
nicht  sagen  können:  ich  fühle  (in  diesem  Augenblicke,  wo  ich  schliessen  will)  wohl,  dass  die  Wichtigkeit 
der  Sache,  die  Gefahr  meines  Clienten  etc.  eigentlich  fordert,  dass  ich  noch  weiter  spreche,  da  ich  noch 
manches  auf  dem  Herzen  habe ,   aber  im  Vertrauen  auf  deine  Müde  darf  ich   ja  kurz   sein  und  werde  dem- 

gemäss  hier  schliessen? 

Hienach  muss  ich  mich  für  Wiederherstellung  des  postulat  aussprechen.  Es  ist  gewiss  nicht  wohl- 
gethan,  grammatischen  Aufstellungen  zu  liebe,  deren  Wahrheit  doch  nicht  immer  über  allen  Zweifel  erhaben 
ist,  feststehende  Texte  zu  ändern  und  so  den  Thatbestand  zu  trüben,  auf  dessen  Grund  eine  fortgeschritte- 
nere Grammatik  vielleicht  in  dem,  was  jetzt  als  unregelmässig  gilt,  eine  Regelmässigkeit  oder  Feinheit  ent- 
büUt  hätte. 


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